Gliederung

 

 

Der Anbringungsort

 

Der Fundort „am Fuße des Südturms“, wie Mettler schreibt, und die große rechteckige Quaderform des Steins mit der menschlichen Gestalt, die stilistisch in einigen Details Ähnlichkeiten mit den Figuren am Nordturm hat, lässt eine Herkunft vom Südturm zwar vermuten, doch bewiesen ist diese nicht. Die vorspringende Kante zu Füßen des Betenden, die Strobel als Standplatte interpretierte und als Beleg für eine ehemals aufrechte Anbringung heranzog, findet sich bei den Skulpturen des Nordturms9 beispielsweise nicht, denn diese stehen auf separaten Gesimsblöcken. Zudem lassen die wie gesägt erscheinende Oberseite des Fragments und die über die Fläche ragenden Finger vermuten, dass der Stein in jüngerer Zeit bearbeitet worden ist.

 

Welcher Bereich am Kirchengebäude käme neben dem ehemaligen Südturm überhaupt noch für die Verwendung einer reliefierten, ganzfigurigen, lebensgroßen Gestalt in Frage, vorausgesetzt sie entstand, wie es für die Skulpturen des Nordturms angenommen wird, um 1120? Vergleichsbeispiele zu benennen, nicht nur für einen Turmfries10, fällt schwer, da skulptierter figürlicher Bauschmuck in und an südwestdeutschen Kirchen überwiegend erst ab 1100 eingesetzt wurde.

 

Sicher aus dem Inneren der romanischen Michaelskapelle der Burg Hohenzollern stammen drei circa 160 cm hohe Reliefs11 mit zwei frontal stehenden Heiligen – vielleicht die Apostel Petrus und Johannes – sowie Michael als Drachenkämpfer über den Heiligen drei Königen vor der thronenden Madonna, die heute in den Seitenwänden des spätgotischen Nachfolgebaus vermauert sind. Die ursprüngliche Anordnung und Zugehörigkeit der vermutlich um 1120 entstandenen Reliefs, die den Rest eines größeren Bildprogramms darstellen, sind genauso ungeklärt wie bei der Hirsauer Skulptur. Überliefert ist dagegen eine skulptierte Dekoration mit lebensgroßen, frontal stehenden Gestalten für das Hl. Grab in der ehemaligen Damenstiftskirche St. Cyriak in Gernrode/­Sach­sen-Anhalt12 aus dem ersten Drittel des 12. Jahrhunderts oder für die spätromanischen Chorschranken im Bamberger Dom13 aus der Zeit um 1220/30, die ältere Werke wie die um 1100 datierte Aposteltafel im Basler Münster14 zum Vorbild hatten. Für die Verwendung kniender Figuren können auch steinerne Altarretabel in Erwägung gezogen werden wie das erhaltene Exemplar von St. Servatius in Maastricht15, das die demutsvoll auf einem Bein knienden Heiligen Petrus und Servatius zeigt, die von dem in der Mitte thronenden Christus gekrönt werden.

 

7 Alpirsbach ba

Alpirsbach, ehem. Klosterkirche:Tympanon des Westportals (Bild: Wischermann, Abb. 55)

 

Am Außenbau von Kirchen findet sich zunächst vor allem an der Fassade, insbesondere an den Portalen, reliefierter Bauschmuck mit menschlichen Gestalten. Als Beispiel ist das hochrechteckige Relief mit dem thronenden Christus in der Vorhalle von St. Emmeram in Regensburg16 zu nennen, das auf Grund seiner Inschrift in die Zeit um 1050 datiert werden kann. Weitere Beispiele sind das vermutlich um 1150 entstandene Tympanon von Kloster Alpirsbach17 (oben), das zwei kniende Personen im Profil mit zum Gebet erhobenen Händen zu beiden Seiten des thronenden Christus zeigt, oder das Hauptportal der 1180 geweihten Klosterkirche von Peters­hausen/Baden-­Würt­temberg18 mit den Figuren von Bischof Gebhard II. als Klostergründer und Papst Gregor dem Großen als Patron im Gewände.

 

8 Hirs Rekonstr Westportal ba

Hirsau, ehem.Klosterkirche St. Peter und Paul: Rekonstruktion des Westportals (Bild: Autorin)

 

    9 Cluny III  Westportal ba

Als ehemaliger Anbringungsort des Hirsauer Fragments kann daher auch das Tympanon des Westportals der Klosterkirche St. Peter und Paul19 (oben) in Erwägung gezogen werden, das eine lichte Weite von annähernd 3 m und eine Tiefe von 1,25 m aufwies,20 das heißt, die für ein Bogenfeld ungewöhnliche Tiefe des Hirsauer Fragments von etwa 42 cm muss nicht gegen eine ehemalige Verwendung als Teil eines Tympanons sprechen.21 Auch am Westportal der ab 1088 erbauten Klosterkirche von Cluny III (rechts) war das laut Kenneth J. Conant aus einem Block bestehende, 5,60 m breite und 3,25 m hohe Tympanon möglicherweise ebenso tief wie der 39 cm starke Türsturz.22 Ein weiteres Indiz für die Herkunft von einem Portal könnte zudem die sich nach rechts verbreiternde Standplatte des Steins sein, bei der es sich vielleicht um den Rest einer Bogenfeldrahmung handelt.

 

 

 

 

Cluny, ehem. Klosterkirche, Bau III:
Westportal (Umzeichnung)
(Bild: Conant, Abb. 28)

 

 

 

 

 

 

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